BMFH Herbstkonferenz: «Studierfähig mit BM? – Ja, aber … und viele orientieren sich neu»

Die meisten Studierenden fühlen sich mit einer Berufsmaturität gut gerüstet für die Fachhochschule. Dennoch weisen einige Lücken bei den Kompetenzen auf. An der vierten Herbstkonferenz der Plattform BMFH diskutierten Dozierende beider Stufen darüber, wie sich diese weiter verkleinern lassen.

Vor vier Jahren wurde im Kanton Zürich die Plattform BMFH (Berufsmaturität Fachhochschule) gegründet, mit dem Ziel, die beiden Ausbildungsstufen besser aufeinander abzustimmen. Seither habe man bereits einiges erreicht, sagte ZHAW-Generalsekretärin Dora Fitzli in ihrer Begrüssungsrede zur Herbstkonferenz 2022, die Anfang Oktober an der Berufsbildungsschule Winterthur (BBW) stattfand.

So habe zum Beispiel das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) zugesichert, Anliegen der Fachgruppen Mathematik und Englisch bei der Anpassung des BM-Rahmenlehrplans zu berücksichtigen. Zudem werden im Rahmen der Digitalisierungsinitiative der Zürcher Hochschulen (DIZH) u. a. drei Online-Vorkurse in Physik, Mathematik und Deutsch mit je 20’000 Franken unterstützt. „Das ist ein schöner Erfolg“, freute sich Fitzli. Während die Fachgruppen Deutsch, Mathematik, Englisch und Wirtschaft gut Fuss gefasst hätten, sei die Themengruppe „Studierfähigkeit“ jedoch noch nicht zum Fliegen gekommen, doch man suche gemeinsam eine Lösung.

Gute Erfahrungen mit prüfungsfreiem Übertritt in die Berufsmaturität

Wie wichtig ein guter Übergang von der Berufsmaturität an die Fachhochschulen und dieser Weg im Allgemeinen ist, betonte auch Bildungsdirektorin Silvia Steiner. Die Berufsbildung sei auch dank der Berufsmaturität ein Schweizer Erfolgsmodell. Aufgrund der Corona-Pandemie wäre es 2020 äusserst schwierig gewesen, BM-Aufnahmeprüfungen durchzuführen und deshalb habe der Kanton den Versuch gewagt, für BM-2-Lernende mit guten Vorleistungen auf eine Aufnahmeprüfung zu verzichten. Die Erfahrungen seien insgesamt so positiv, dass die Bildungsdirektion derzeit auch prüfe, ob auch für die BM 1 auf eine Aufnahmeprüfung verzichtet werden kann.

Studie zeigt Lücken auf

Woran es am Rahmenlehrplan der BM weiterzuarbeiten gilt, weist eine schweizweite Studie zum Thema Studierfähigkeit nach, die das Forschungsinstitut econcept im Auftrag des SBFI und der Schweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz durchgeführt hat. In der Befragung von 2021 schätzte eine überwiegende Mehrheit der Studiengangleitenden die Berufsmaturität als eine adäquate Vorbereitung für ein Studium an einer Fachhochschule ein. Im Vergleich zu 2013 war die Zustimmung sogar noch leicht gestiegen: von 93 auf 95 Prozent. Dennoch beurteilte mehr als die Hälfte die Kompetenzen der BM-Absolvent:innen in Erstsprache und Mathematik als unzureichend. Und während die befragten Studierenden im 4. Semester ihre Selbstständigkeit mehrheitlich als gut beurteilten, sahen die Studiengangleitenden dies ebenfalls kritischer. In diesen Bereichen bestehe vermehrter Bedarf nach Unterstützung, betonte Nicole Kaiser, welche die Erkenntnisse vorstellte. „Wichtige Faktoren sind ein gutes Betreuungsverhältnis sowie Vorbereitungskurse – insbesondere bei einem Unterbruch zwischen BM und Studium und bei einer Neuorientierung, d. h. einem Wechsel nach der Berufslehre in ein neues Fachgebiet.“ Rund 20% der BM-Absolvent:innen wählen ein fachfremdes Studium.

Auch im Studium nicht allein gelassen

Was junge Menschen brauchen, um erfolgreich zu studieren, zeigte auch ein anschliessendes Podium, an dem sechs Jugendliche und junge Erwachsene von ihren Erfahrungen berichteten. „In der Berufsschule erhalten wir viel Unterstützung und es herrscht ein gewisser Druck“, erzählte die angehende Fachfrau Gesundheit Hava Rahimi. „Wie ich gehört habe, braucht es im Studium viel Disziplin und man ist mehr auf sich selber gestellt.“ Der Maschinentechnik-Student Leander Palm bestätigte ihre Vorstellung: „Es reicht nicht, die Vorlesungen zu besuchen, sondern man muss auch vor- und nachbereiten. Doch die Dozierenden sind immer offen für Fragen.“ Auch Stefanie Häfele versuchte, den BM-Lernenden die Angst zu nehmen: „Natürlich sagt einem niemand, wann man was lernen muss. Aber wenn man nicht drauskommt, erklären die Dozierenden den Stoff geduldig nochmals. Man wird definitiv nicht allein gelassen.“ Die Absolventin des Bachelorstudiengangs Kommunikation erzählte eindrücklich, wie sie sich während der Lehre zur Detailhandelsfachfrau für die Berufsmaturität entschieden hatte. Ursprünglich habe sie sich das nicht zugetraut, später dann aber doch Lust auf ein Studium bekommen. „Die Lehrpersonen sollten auch Schüler:innen ermutigen, die auf den ersten Blick nicht als die erfolgreichsten gelten.“

Fachspezifischer Austausch

Im Anschluss trafen sich die Teilnehmer:innen zum Austausch in den fachspezifischen Konferenzen. Auf grosses Interesse stiess das Thema wissenschaftliches Schreiben. Stefanie Wick, Deutschlehrerin an der BBW und Leiterin der BMFH-Fachgruppe Deutsch, erklärte den Ablauf der interdisziplinären Projektarbeit, bei der die BM-Lernenden erste Erfahrungen mit wissenschaftlichem Arbeiten machen. Vonseiten der FH-Vertreter:innen wurde bemängelt, dass viele Studierende keine verständlichen Texte mit logischem Aufbau und ohne Redundanzen verfassen könnten. Die Heterogenität sei aber gross: Während einige kaum einen geraden Satz zustande bringen, schreiben andere praktisch perfekt. Dies bestätigte auch Stefanie Wick: „Besonders gross ist die Spannweite in der BM 2, seit der Eintritt prüfungsfrei ist.“ Diese Wahrnehmung schienen viele Teilnehmende der Herbstkonferenz zu teilen.

Auch in der Fachkonferenz Mathematik wurde festgestellt, dass die BM-Lehrpersonen mit dem Stoff häufig von vorne anfangen müssten, weil die BM-Lernenden auch einfache Fertigkeiten wie etwa das Bruchrechnen nicht ausreichend beherrschen. Diskutiert wurde zudem, wie die Relevanz von Mathematik besser vermittelt werden kann – etwa durch das Arbeiten mit einfachen Statistiken oder Grafiken zu Abstimmungen aus Zeitungsartikeln.

Derweil kam man in der Fachkonferenz Englisch zum Schluss, dass die Lernenden im Allgemeinen gut reden können, jedoch vielfach Mühe haben, Texte zu analysieren oder sie kurz zu überfliegen und die Hauptaussage zusammenzufassen. Auf diese Fähigkeiten wollen die BM-Lehrpersonen nun vermehrt fokussieren.

Philipp Sieber, ZHAW-Dozent und Leiter der Fachgruppe Wirtschaft und Recht, stellte das Modell des Flipped Classroom vor, das an der FH häufig zur Anwendung kommt. Dabei erarbeiten Studierende ein Thema zuerst im Selbststudium und bringen ihre Erkenntnisse danach im Präsenzunterricht ein, bei dem dann der Fokus auf der Anwendung und Vertiefung des neuen Themas liegt. „Dazu braucht es eine gute Selbstorganisation“, stellte Sieber klar. Weil die BM-Schulen stark fächerorientiert unterrichteten, würden überfachliche Kompetenzen jedoch häufig zu kurz kommen. „Doch die BM-Schulen beabsichtigen, in Zukunft mehr interdisziplinär zu unterrichten.“

Verfasserin: Andrea Söldi

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Inputreferat Nicole Kaiser, econcept  „Was braucht es für einen erfolgreichen Übertritt an die Fachhochschule? Ausgewählte Ergebnisse der Evaluation 2021 zur Studierfähigkeit der Berusmaturitäts-absolventen/innen“

Link zur Website SBFI Schlussbericht vom 10. Februar 2022